ZUM WERK VON LUISE MÜLLER
von Tina Teufel (Kuratorin für zeitgenössische Kunst im Museum der Moderne Salzburg)
„Gewalt war für mich nie unsichtbar, hat sich nie versteckt. Es war vielmehr eine Frage, ob man hinsieht. Das möchte ich in meinem filmischen Schaffen: hinsehen. Dabei braucht es nicht unbedingt immer besonders rabiate Bilder. Gewalt zieht sich durch alle Facetten der Gesellschaft und unser Leben in ihr. Das Brutale offenbart sich nicht nur da, wo es offensichtlich wird. Gerade im Schönen und Ruhigen kann es liegen – in der Nicht-Sichtbarkeit der Gewalt.“ Luise Müller
Mit großer Sorgfalt und präzisen optischen wie akustischen Akzenten porträtiert Luise Müller Orte und Menschen. Gemeinsam ist ihren Arbeiten der respektvolle Umgang mit den Protagonist*innen und ihrer Geschichte. Ein besonderes Augenmerk legt sie in ihrer Filmsprache auf Details, Rhyth mus und Leere. Damit arbeitet die Künstlerin der Gleichgül tigkeit und Brutalität des Alltags entgegen. Ihr Grundthema ist die Ambivalenz, das Unaussprechliche, das Unhaltbare, das, wofür wir keine Worte finden. Von der Malerei kommend – sie machte zunächst eine Ausbildung zur Bühnenmalerei in Berlin und studierte danach Malerei an der Akademie – sind in ihren Filmen die Kompositionsgabe, das Gefühl für Licht und Ästhetik ebenso wichtig wie ein Arbeiten zwischen dem Intellektuellen und dem Emotionalen. In langen Szenen, ruhigen Montagen und sparsamen Erzählungen ist es Müller möglich, der Darstellung menschlicher Gewalt gerecht zu werden, ohne plakativ zu sein. Genau dieses Dazwischen, die Leerstellen, die stillen Einstellungen sind stärker als dies in einem rein bildnerischen Medium möglich wäre. Mit dem Tondesign entwickelt sie ein eigenes Narrativ, das sie ver meintlich leeren Bildern gegenüberstellt.
In Mensch und Maschine (2017) steht die Maschine einer Textilfabrik in Marrakesch im Mittelpunkt. Sie wirkt wie eine kinetische Skulptur, bis der sie bedienende Mensch in den Bildraum vordringt, der durch ihre Schnelligkeit, ihren Rhythmus und ihre Unerbittlichkeit bestimmt wird. Ge danken zur kolonialen Geschichte drängen sich ebenso auf wie Gedanken zur Selbstverständlichkeit, mit der wir uns anderer bedienen.
Im Film Staub (2017) bleibt die Kamera länger an einer Ein stellung haften. Junge Menschen arbeiten an einem alten, barackenartigen Gebäude. Die Tristesse des Wetters lässt ahnen, dass der Ort nicht positiv behaftet ist. Die Doku mentation der Arbeit wird immer wieder von Aufnahmen unterbrochen, die den gegenwärtigen Zustand der Anlage zeigen. Behutsam geht Müller mit den Versatzstücken von Landschaft und Gebäuden um, lässt Raum für Gedanken. Die Sachlichkeit bleibt immer im Fokus. Erst kurz vor der sechsten Minute setzt eine von zwei Erzählsequenzen ein, die den Ort als ehemaliges Konzentrationslager Mauthausen zu erkennen geben. Hauptdarstellerin ist jene Generation, die als letzte noch Kontakt zu Zeitzeug*innen des Zweiten Weltkriegs hat.
Die gegenwärtigen Auswirkungen faschistischen Gedanken guts finden sich im Film Nördlich von Libyen (2023). Er beginnt mit dem Funkspruch eines Flüchtlingsbootes, das in Seenot um Hilfe bittet, das Bild bleibt schwarz. Der Film erzählt die Geschichte von Antje und Dariush, die im Novem ber 2016 mit der Iuventa auf ihre erste von fünf Missionen am Mittelmeer aufbrachen. Sie berichten von ihren Ein sätzen auf dem Meer – nüchtern, aber dennoch betroffen. Immer wieder wandert ihr Blick nach innen. Dariush wurde in Italien wegen Schlepperei angeklagt. Ihm drohen bis zu zwanzig Jahre Haft. Auf Seenotrettungsmissionen fährt er nicht mehr; die Anwälte haben ihm davon abgeraten. In der Zwischenzeit ist er für drei Monate auf Lesbos. Zur selben Zeit dokumentieren die Bewohner*innen Morias mit Handy videos die Zustände im größten Flüchtlingscamp Europas vor dessen Auflösung nach einem verheerenden Brand. Zurück in Hamburg heißt es seit zwei Jahren warten – während das Mittelmeer weiterhin für Tausende zum Grab auf dem Weg nach Europa wird.